16.11.2025 — Medienbeitrag Sonntagszeitung

Weisser Glanz und schmelzende Zukunft

Autor: Hans R. Amrein, publiziert in der Sonntagszeitung vom 16.11.25

Der alpine Winter muss sich zwischen Klimadruck und Luxustrend behaupten. Expertinnen und Experten beurteilen die Lage – und zeigen Perspektiven auf. So auch Andreas Bärtsch, Founder von Quant. Bärtsch spricht dabei von einer «Zweiteilung des Marktes»: Auf der einen Seite High-End-Destinationen mit Lifestyle-Fokus, auf der anderen Seite kleine Gebiete mit Strukturproblemen und sinkender Rentabilität. Nachfolgend der gesamte Medienbeitrag.

Der Winter war einst das Symbol alpiner Identität – eine Mischung aus Romantik, sportlicher Freiheit und wirtschaftlicher Stabilität. Heute ist er ein «Stresstest»: immer weniger Schnee, immer höhere Kosten, immehr kritischere Gäste. Die Schweiz, Österreich und Süddeutschland stehen mitten in einem Strukturwandel, der die Grundlagen des Wintertourismus infrage stellt. «Die steigenden Temperaturen sind fatal für den Skitourismus», sagt etwa die Tourismus-Professorin Monika Bandi von der Universität Bern. In tiefen Lagen – unterhalb von 1500 Meter über Meer – wird die Schneesicherheit zum Glücksspiel.

«Hundert Tage Schneesicherheit mit dreissig bis fünfzig Zentimeter Schnee werden zunehmend unrealistisch.» Auch Marc Olefs, Leiter der Klimafolgenforschung bei Geosphere Austria, bestätigt: «Die natürliche Schneedecke geht langfristig besonders in tiefen und mittleren Lagen weiter zurück.» Selbsttechnische Beschneiung stösst an Grenzen: «Die potenziellen Beschneizeiten werden weniger, und der Bedarf an Wasser und Energie nimmt zu.» Fakt ist: Technische Beschneiung ist teuer und ökologisch umstritten – sie braucht Ressourcen, die immer knapper werden. Der Winter wird zur Wette auf das Wetter.

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Zwischen Überleben und Transformation

Für Roland Zegg, Gründer von grischconsulta und Initiant des Tourismus-Forums Alpenregionen, ist klar: «Skigebiete über 2000 Meter haben mittelfristig gute Aussichten – wenn sie in technische Beschneiung und ergänzende Angebote investieren. Schwieriger wird es für Gebiete auf 1000 bis 1500 Meter.» Während hochalpine Orte wie Zermatt, Saas-Fee oder St. Moritz ihre Lage als Vorteil nutzen, stehen tiefere Destinationen unter Druck. Ganze Regionen müssen sich neu erfinden. Zegg mahnt: «Dort, wo die Minustemperaturen fehlen, ist auch eine Beschneiung keine Option.» Gleichzeitig verweist er auf eine notwendige Balance zwischen Qualität und Masse:

«Die alpinen Regionen tun gut daran, ihre landschaftlichen Ressourcen sorgsam zu pflegen, die Gästefrequenzen über das Jahr zu balancieren und in den Spitzenzeiten weitsichtig zu steuern.» Was einst Volksvergnügen war, wird zur elitären Freizeitbeschäftigung. «Das Skifahren entwickelt sich zu einer Luxusfreizeitbeschäftigung», sagt Andreas Bärtsch von der Tourismusberatung Quant in Flims. In den letzten Jahren sind die Preise für Skipässe, Ausrüstung und Unterkunft stark gestiegen. Der Mittelstand zieht sich zurück, während zahlungskräftige Gäste und internationale Märkte wichtiger werden.

«Das Skifahren entwickelt sich zu einer Luxusfreizeitbeschäftigung», sagt Andreas Bärtsch.

Bärtsch spricht von einer «Zweiteilung des Marktes»: Auf der einen Seite High-End-Destinationen mit Lifestyle-Fokus, auf der anderen Seite kleine Gebiete mit Strukturproblemen und sinkender Rentabilität. «Das alles spielt den grossen, international ausgerichteten Destinationen mit moderner Infrastruktur in die Karten», so Andreas Bärtsch. Die Folge: Der Wintertourismus wird selektiver – und exklusiver. Wer heute ins Gebirge reist, sucht mehr als makellose Pisten. Authentizität, Nachhaltigkeit und Erholung stehen hoch im Kurs. «Mittelfristig braucht es im Wintersport neue Angebote», fordert Monika Bandi. Winterwandern, Schneeschuhtouren, Spa-Erlebnisse und regionale Kulinarik

gewinnen an Bedeutung. Gleichzeitig müssen Destinationen ihre Marken schärfen. Eine aktuelle Wintersport-Analyse aus Österreich kommt zum Schluss, dass die Gästezufriedenheit in vielen Top-Destinationen sinkt. Das Preis-LeistungsVerhältnis wird kritischer gesehen. Hubert Siller, Leiter des MCI-Tourismus-Center, ergänzt: «Wir müssen die junge Generation wieder für die Winterferien begeistern.» Während man früher vehement mehr Gäste und mehr Umsatz anstrebte, steht heute Qualität im Vordergrund. Tourismusprofessor Jürg Stettler von der Hochschule Luzern bringt es auf den Punkt: «Langfristig müssen wir wohl über Obergrenzen im Wintertourismus diskutieren.»

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Weniger Ski-, dafür mehr Ganzjahrestourismus

Auch Kurt Matzler von der Universität Innsbruck fordert neue Steuerungsmechanismen: Digitale Systeme sollen Besucherströme lenken und Spitzenbelastungen verhindern. Tourismus-Professor Christian Laesser von der Universität St. Gallen sieht den Wandel jedoch pragmatisch: «Die alpinen Destinationen investieren seit einigen Jahren in die Infrastruktur ausserhalb der Wintersaison – etwa in Mountainbike-Strecken oder Sommerrodelanlagen.» Der Fokus, so Laesser, verschiebt sich: weniger Ski-,

dafür mehr Ganzjahrestourismus. Wie Anpassung gelingen kann, zeigt zum Beispiel das EU-Tourismusprojekt Beyond Snow. Zehn Alpen-Destinationen haben Strategien entwickelt, um trotz Schneemangels attraktiv zu bleiben. Sattel-Hochstuckli SZ setzt künftig auf Familienangebote, Balderschwang im Allgäu auf Kulinarik und Themenwanderungen, Metabief im französischen Jura auf Freizeitparks statt Skilifte.

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Klimawandel wird zum zentralen Handlungsfeld

«Entscheidend ist, dass lokale Akteure Verantwortung übernehmen und den Wandel aktiv gestalten», sagt Richard Kämpf vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Politik und Wirtschaft ziehen zunehmend an einem Strang: In der neuen Schweizer Tourismus Strategie ab nächstem Jahr wird der Klimawandel erstmals als zentrales Handlungsfeld verankert. Thomas Egger von der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) unterstreicht die Bedeutung gemeinsamer Strategien: «Wenn Bergbahnen, Hoteliers, Gemeinden und Bevölkerung an einem Strick ziehen, entstehen tragfähige Lösungen.» Sein Fazit:  Winter, so scheint es, steht an der Schwelle einer neuen Ära: weinger Pistenkilometer, mehr Haltung.

«Die Zukunft des Wintertourismus erstreckt sich über das ganze Jahr.» Was bleibt, ist ein Spannungsfeld zwischen Emotion, Ökonomie und Ökologie. Der Winter verliert seine Verlässlichkeit, aber nicht seine Faszination. «Der Winterist frisch, dynamisch und ertragsstark – zumindest dort, wo man ihn ernst nimmt», so Tourismus- und Bergbahnen-Experte Roland Zegg. Kurz und gut: Die Zukunft des Winters in den Alpen wird selektiver, nachhaltiger und ehrlicher. Nicht jeder Ort wird Skidestination bleiben, aber viele können sich neu erfinden – als Orte des Rückzugs, der Natur, der Kultur und der Begegnung. Der alpine Winter, so scheint es, steht an der Schwelle einer neuen Ära: weinger Pistenkilometer, mehr Haltung.